Tiefengeothermie und die Frage der Redundanz
Für alle, die gerne zuerst das Buch zum Film lesen:
Ich muss es jetzt doch aufarbeiten – vielleicht erschließt sich mir dann ein anderer Blickwinkel und auch ich kann das „Große – Ganze“ visionieren. Mit dem Medium der Erzählschiene versuche ich, mich dem Thema zu nähern.
Warum auf diesem Weg?
Weil ich aus Erfahrung weiß, dass sich beim Greifen und Gestalten, beim Ordnen, Ablegen und Stellen ein inneres Bild von der Handlung entwickelt. Die Zuschauer entdecken die Beziehungen der einzelnen Akteure untereinander und erleben die Ebenen von Vordergrund und Hintergrund.
Unsere Kulisse:
das Bohrplatzareal im Landkreis Karlsruhe im Osten der Gemeinde Graben-Neudorf in der Gemarkung Neudorf auf der Flur Nr. 6261 entlang der Ernst-Blickle-Straße
Unsere Akteure:
die Bürgerschaft GN, Bürgermeister und Gemeinderat GN, die BI GN, die DEW, das Tiefengeothermie-Kraftwerk, die Wärme, der Strom, das Wärmenetz, die Ampelsteuerung, das Redundanzkraftwerk, die Presse, die Plattform Erneuerbare Energien, zeozweifrei (Umwelt- und Energieagentur Karlsruhe)
Offene Fragen:
- Die Größe des Tiefengeothermie-Kraftwerks. Die DEW sieht den Vorteil eines Tiefengeothermie-Kraftwerks im Vergleich mit anderen erneuerbaren Energien in dem geringeren Platzbedarf. Eine exemplarische, von der DEW geplante Erdwärmeanlage benötige etwa zwei Hektar. Andererseits wird in Graben-Neudorf ein Betriebsgelände von 4,6 ha geplant.
- Der Geschäftsführer der DEW, Herr Stahl, ist zugleich stellvertretender Vorsitzender der Plattform Erneuerbarer Energien. Wie viele Figuren benötige ich nunmehr, um dies abzubilden?
- Größe, Standort und Betriebsstoff des Redundanzkraftwerks
- Grad der CO2-Einsparung des Tiefengeothermie-Kraftwerks bei gleichzeitig notwendigem Betrieb eines Redundanzkraftwerks, das fossile Brennstoffe nutzt
- Sicherstellung der Nahwärmeleistung, wenn diese Zone laut BUND nach ca. 40 –50 Jahren typischerweise unter eine Nutzbarkeitsgrenze abgekühlt ist und als „erschöpft“ gilt
- Die DEW hat keinen Firmensitz in Graben-Neudorf, dennoch ist sie bereits im Juli 2020 Mitglied im Handwerker- und Gewerbeverein. Ist das satzungskonform?
- Erdwärme kann bei Bedarf auch für die Kühlung von Gebäuden und Industrieanlagen – bei ausgeglichener Wärmebilanz – durch Umwandlung von Wärme in Kälte, z. B. durch Ab- oder Adsorptionskältemaschinen genutzt werden. Wurde dies in die Planungen miteinbezogen?
Statisten:
- die Gewerbesteuer (Mit welchen Anteilen steht sie in Grünwald und Graben-Neudorf?)
- lokale Unternehmen (Mit der Ausführung der Rodungsarbeiten durch das Forstunternehmen Scholl gab es bereits einen lokalen Player, an dessen Händen nun das Sägemehl klebt.)
- der Tourismus (Auch hier ist die Größe der Figur noch nicht abschließend kalkulierbar. Die DEW geht von einer festen Einbindung des Tiefengeothermie-Kraftwerks in das örtliche Tourismusangebot aus. Daher muss diese Figur als angehende Attraktion auf Übergröße dimensionierbar sein.)
Szene 1:
In einem Artikel der BNN, Bruchsaler Rundschau vom 13.02.2020 ist von der Errichtung eines Geothermiekraftwerkes in Graben-Neudorf die Rede.
Strom soll erzeugt werden und „eine typische Anlage, wie sie derzeit von Deutsche ErdWärme am Oberrhein geplant wird, erzeugt ca. 40 Megawatt thermische Energie (Wärme) beziehungsweise bis zu ca. 4,1 MW Strom (netto)!“, so ist es auf der Homepage der DEW nachzulesen. Engagierte Bürgerinnen und Bürger kritisieren öffentlich den Kraftwerksbetrieb zur ausschließlichen Stromerzeugung. Aber der Figur „Strom“ möchte ich an dieser Stelle die Rolle einer Statistin zuweisen, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die Hauptfigur „Wärme“ zu fokussieren.
Szene 2:
Am 20.07.2020 tritt die Wärme öffentlich auf die Bühne und wird von Herrn Zippelius in einem weiteren Artikel der BNN mit dem Begriff „Erdwärmeanlage“ dem Publikum nahegebracht. Während Herr Pohl im Rahmen der DEW Info-Veranstaltung am 17.09.2020 noch verlauten lässt, dass es keinen konkreten Plan zur Wärmenutzung gebe, verkündet er im Rahmen der Stay-Home-Veranstaltung am 22.09.2020 und im Rahmen der Info-Veranstaltung der Gemeinde Graben-Neudorf am 29.09.2020, dass es konkrete Absprachen mit der SEW bezüglich einer Wärmenutzung gebe.
Und erneut muss ich eine neue „Figur“ auf meiner Erzählschiene einfügen: das Wärmenetz
Wobei die DEW ausdrücklich betont, dass sie kein Netzbetreiber sei. Diese Aufgabe liege in der Verantwortung der Kommunen und Gemeinden. Aber allein mit der Tatsache, dass die DEW den Auf- und Ausbau von Wärmenetzen vorantreibe, unterstütze sie bereits Verbesserungen und Erneuerungen der Infrastruktur sowie den Ausbau von Glasfasernetzen. Die Alternative zur Abgabe der Wärme in ein Wärmenetz wäre: in der 190m langen Luft-Rückkühlanlage runterkühlen und vom Klimasystem aufnehmen lassen.
Die Zeit verrinnt … Wir blicken auf eine Szene in der Zukunft …
Die DEW hätte das Tiefengeothermie-Kraftwerk gebaut und würde nach 5-10 Jahren Betrieb eine Wärmeauskopplung anvisiert haben.
Die Gemeinde hätte in der Zwischenzeit eine Wärmebedarfserhebung durchgeführt und die potenziellen Quartiere für eine Abnahme der Nahwärme identifiziert.
In Unterföhring lagen 2016 die Kosten für 1 Trassenmeter Fernwärmeleitung bei 910,00 €.
Die Leitungen in das Wohngebiet Mitte Ost III in 800 m Entfernung lägen damit bei 728.000 €. Da in diesem Gebiet bereits zahlreiche Häuser erneuerbare Energien nutzen, wird der potenzielle Bedarf an Nahwärme von zeozweifrei überwiegend im „alten Ortskern“ gesehen – Entfernung 2,8 km.Die potenziellen Abnehmer der Nahwärme hätten mittlerweile einen entsprechenden Vertrag zur Abnahme der Nahwärme abgeschlossen und die entsprechenden Anschlussgebühren (In Alding belief sich die Endsumme auf 12.752,87€) übernommen.Das Tiefengeothermie-Kraftwerk hätte Scharen technikbegeisterter und an Klimaschutz interessierter Besucherinnen und Besucher nach Graben-Neudorf gelockt und die Gemeinde hätte ein Tourismus-Konzept implementiert.
Szene 3:
Die angeschlossenen Endkunden nutzen die Nahwärme als primäre Heizquelle.
Szene 3a:
Dezember, bei Außentemperaturen von - 8 Grad fällt das Tiefengeothermie-Kraftwerk wegen eines Störfalls aus. Die Endkunden selbst haben keine Möglichkeit, im Fall eines Störfalls am Heizkraftwerk ihr Wohngebäude ausreichend zu wärmen. Somit könnten bei länger anhaltenden Störzeiten am Tiefengeothermie-Kraftwerk auch erhebliche Frostschäden beim Endkunden entstehen. Wenn ein Gebäude über mehrere Tage hinweg keine Fernwärme bekommt, sinkt die Temperatur im Winter schnell unter die empfohlenen 20-23°C Raumtemperatur. Moderne Heizungen über Flächen, wie Fußbodenheizungen reagieren zudem träge und können erst entsprechend langsam wieder Wärme in das Gebäude befördern, wenn das Tiefengeothermie Kraftwerk wieder angelaufen ist.
Szene 3b:
In Geothermie Kraftwerken kann es zu unterschiedlichen Ursachen für Störungen kommen. Es können teils geplante Ausfallzeiten sein für Wartungsarbeiten. Aber es gibt auch Störfälle, die sich nicht beeinflussen lassen. Beispielsweise muss die Anlage aufgrund einer defekten Pumpe heruntergefahren werden. Diese Pumpen sind spezielle Maschinen, die Wasser aus großer Tiefe fördern und entsprechend leistungsfähig ausgelegt sind. Daher sind es keine Ersatzteile, die der Betreiber bereitliegen hat und es ist entsprechend aufwändig diese zu tauschen. Bis zur entsprechenden Reparatur und erneutem Hochfahren der Anlage müssen alle Kunden auf die Bereitstellung von Warmwasser und Heizleistung verzichten. (So geschehen beim Kraftwerk Insheim in der Zeit von Februar – Mai 2013)
Szene 3c:
Bei dem geplanten Tiefengeothermie Kraftwerk in Graben-Neudorf wird viel über die Ampelsteuerung gesprochen. Diese soll sehr feinfühlig auf Seismizität ansprechen und selbst bei kleinsten Erschütterungen die Anlage herunterfahren, bis aus dem Bergamt in Freiburg nach fachlicher Einschätzung der Situation vor Ort die Erlaubnis zum erneuten Anlauf kommt. In diesem Falle würde die Bereitstellung von Heizwärme und Warmwasserversorgung auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Mit welcher Garantie kann der Betreiber einen Zeitpunkt zusichern, zu dem die Behörde den Betrieb wieder freigibt?
Szene 3d:
Die Lösung ist da!
Die Gemeinde Graben Neudorf hat eine Fläche für den Bau eines Redundanzkraftwerks freigegeben. Redundanzkraftwerke können in den oben beschriebenen Wartungszeiträumen und Störfällen direkt die Heizleistung bereitstellen und das Geothermie- Kraftwerk zusätzlich in Spitzenzeiten unterstützen. Diese Heizkraftwerke sind meist konventionell (fossil) befeuert mit Erdgas oder Heizöl. Wenn es im Endausbau genügend Tiefengeothermie Kraftwerke in einem Bereich gibt, im Oberrheingraben sind 15 Standorte geplant, könnten diese sich zum Ring zusammenschließen und sich gegenseitig als Redundanz dienen. Dies ist aber mit weitem Horizont gedacht und die ersten Tiefengeothermie Kraftwerke müssen dadurch zwangsläufig auf sofort verfügbare Redundanz setzen.
Szene 4:
Alternativen: Die Gemeinde Graben Neudorf investiert statt in Fernwärmenetz und Redundanzkraftwerk in den Ausbau von Windenergie und Photovoltaik sowie innovative Ideen!
Beispiele: Windbäume, wie sie schon seit 4 Jahren im Zentrum von Paris, auf dem Place de la Concorde stehen (https://www.vattenfall.de/infowelt-energie/oekostrom-aus-dem-windbaum-der-firma-newwind) oder rotorfreie Windräder (https://www.smaveo.de/vortex-bladeless-die-antwort-auf-die-frage-nach-einem-windrad-ohne-rad/)
Fazit: Hermann Hesse sagte einmal: „Die Praxis sollte das Ergebnis des Nachdenkens sein, nicht umgekehrt.“
In welcher Reihenfolge sollten also diese 3 Akteure auftreten:
Bau des Tiefengeothermie-Kraftwerks => kommunale Klimaschutzstrategie => Wärmebedarfserhebung
Oder
Kommunale Klimaschutzstrategie => Wärmebedarfserhebung => Bau des Tiefengeothermie-Kraftwerks (oder Einleitung ggf. anderer Klimaschutzprojekte auf der Basis evaluierter Daten)
Die Auskopplung der Wärme erscheint derzeit wie eine grüne Image-Politur, bei der zahlreiche Aspekte noch nicht abschießend durchdacht worden sind.
Die Stromerzeugungskosten aus Windenergie und Photovoltaik sanken in den letzten 20 Jahren von 20–40 ct/kWh auf einen Bereich von 4 –8 ct/kWh. Die Erzeugungskosten von Strom aus Tiefengeothermie werden vom BUND noch immer mit 35–50 ct/kWh eingeschätzt.
Bei den geschätzten Investitionskosten von rund 30.000.000 € und der Gewährung von staatlichen Förderungen, EEG-Vergütung sowie steuerlichen Verlustabschreibungen sollte an dieser Stelle kritisch hinterfragt werden, ob der gemeinsame Nenner, auf den Graben-Neudorf Wirtschaftlichkeit, Bereitstellungskosten und Klimaschutzkonzepte mit dem erklärten Willen der Bürger*innen bringen kann, tatsächlich „Tiefengeothermie“ heißen sollte.
Es sei denn…aber das ist Szene 1 in einer neuen Geschichte: die Hauptfigur, welche als Diva die Bühne allein bestimmt, heißt „Lithium“